Liebe Hörer des Herzensfeuer,
in der letzten Folge des Jahres kommt noch einmal Friedrich Hölderlin mit der ersten Strophe aus der Elegie „Brod und Wein“ zu Wort. Sie ist auch unter dem Titel „Die Nacht“ bekannt. Leo von Seckendorf hat sie, gegen den Willen des Dichters, im „Musenalmanach für das Jahr 1807“ unter diesem Titel herausgegeben.
„ Niemals ist vielleicht hohe, betrachtende Trauer so herrlich ausgesprochen worden. […] Ich halte sie (= „Die Nacht“) für eines der gelungensten Gedichte überhaupt.“„Es ist diese eine von den wenigen Dichtungen, an welchen mir das Wesen eines Kunstwerkes durchaus klar geworden.“ Clemens Brentano.1
Gerhard Falkner, einer der bedeutendsten Dichter der Gegenwart, ist die zweite lyrische Stimme dieses Podcasts. Er hat sich, wie viele Dichter, ausführlich mit Hölderlin beschäftigt. Die Hölderlin Ausgabe von D.E. Sattler, welche die genaue Textgenese der einzelnen Handschriften akribisch dokumentiert und darstellt, hat die Herausgabe handschriftlicher Überlieferungen revolutioniert. Und sie wurde Fundgrube und Inspiration für viele Dichter. In einem Interview sagte Falkner, dass er sich intensiv mit der Sattlerschen Ausgabe beschäftigt habe, auch sei der Titel Hölderlinreparaturen missverstanden worden. Es ging nicht darum, Hölderlin zu reparieren, wohl aber das Verhältnis zu ihm.
In dem Band „Über den Unwert des Gedichts“ hat Gerhard Falkner „ungeputze Notizen“ und Aufzeichnungen zur Sprache, Dichtung und Zeitlage in aphoristischer Form dargelegt.
Dort entwickelt er seinen poetologischen Begriff der Entgegnung:
„Die Entgegnung ist die einzige Erläuterung des Gedichts, die keine Obduktion ist.“
„In der Entgegnung schöpft das Gedicht Verdacht auf seine Bedeutung“2
Was genau die Entgegnung ist, muss vielleicht ein wenig unscharf bleiben, um lebendig zu bleiben. Es ist nicht nur eine Antwort, sondern schöpferische Eigenarbeit, vielleicht im Sinne Novalis, der einmal bemerkte: „Der wahre Leser muss der erweiterte Autor sein.“
„Eine Bedeutung wird nicht erteilt, sondern beigemessen. Die spekulativen Prozesse, in welche die Wissenschaften sich einordnen, haben stets Bestimmung (Definition) im Auge, aber nie Bedeutung. Das Bestimmte, das immer aus Bestimmtem hergeleitet wird und renormalisierbar sein soll, erhält Bedeutung erst durch etwas Beigemessenes. Etwas Beigemessenes ist etwas Erdichtetes, da es zum Bestimmten nicht notwendig gehört. Der ganze abendländische Bedeutungsraum ist erdichtet, auf dieser scheinbaren Vermessenheit fußt erst die wissenschaftliche Bemessung.
Das meint Hölderlin mit: „Was aber bleibet, stiften die Dichter“3
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein anregendes Gespräch mit F. Hölderlin und G. Falkner.
Bis zum 8.12. Können Sie den Podcast noch auf Pogigee, Spotify etc. hören, dann zieht er endgültig auf Substack.
Herzlichen Dank für die Post!
Ich wünsche Ihnen einen schönen Advent, besinnliche Feiertage und einen beherzten Rutsch ins neue Jahr.
Herzlich
An Kuohn
Wikipedia
Gerhard Falkner, Über den Unwert des Gedichts, Teil I, Sprache, Abteilung A, S. 18,
Aufbau-Verlag, 1993
Ebd. a.a.O.
Wie einer Frage Ton